….nach der Arbeit

Es gibt ein Leben danach – nach der Arbeit. Spannend sind die Übergänge, die Fragen, die sich stellen – und auch hier geht es darum, Veränderungen zu gestalten. In loser Reihenfolge möchte ich Menschen vorstellen, die etwas zu diesem Abschnitt zu sagen haben –  ….nach der Arbeit. Ich beginne mit  Jürgen Fröchling, Autor, Redakteur, Lektor – im „Ruhestand“.

JA

 

 

 

 

 

 

Jürgen Fröchling, Dr. phil. 

• geboren am 02. September 1947
• reist gerne in sonnige Küstenstädte mit viel Kultur
• 
findet, dass Arbeit wichtig ist, aber …
• 
hat Zeit !!!

1. Was hast Du in Deinem Berufsleben gemacht? 
Redakteur und Redaktionsleiter, jeweils in einem Fachbuchverlag (5 bzw. 7 Jahre), Dozent an einer Uni (9 Jahre), Freiberufler im Dienste von Verlagen und Berufsschreibern (16 Jahre), Autor (37 Jahre).

2. Wie hast Du den Übergang erlebt? 
Als ein echtes Abenteuer. Vergleichbar mit Einschulung und Start in das Berufsleben. Dankbar: Ich bekomme Geld, ohne dafür noch zu arbeiten. Dankbar: Ich bin noch in guter Verfassung. Die klare Erkenntnis: Die Tage sind gezählt …

Also: Nutze den Tag! Zufällig fand ich einen Gesangbuchvers, der drastisch meine frühe Konditionierung formuliert: “Zur Arbeit, nicht zu Müßiggang, bin ich bestimmt auf Erden; drum lass mich, Gott, mein Leben lang durch Arbeit nützlich werden.“ – Daran galt es zu „arbeiten“ …! Am Anfang meiner Selbstständigkeit habe ich mich coachen lassen in Change-Management, davon profitierte ich auch in diesem Übergang.

3. Wie hast Du Dich vorbereitet auf die Zeit nach der Arbeit? 
Erfahrungsberichte gelesen, „Ruheständler“ beobachtet und befragt: Wer bleibt im Hamsterrad, wer füllt alten Wein in neue Schläuche, wer nutzt die neuen Möglichkeiten? Wer belügt sich tapfer selbst und glaubt daran?

Mir Fragen gestellt: Woher komme ich, wer bin ich, wohin will ich? Was will ich weiterhin tun, was will ich neu beginnen, was trieb mich bisher an, brauche ich das noch, welche Kontakte haben Bestand, wie viel will ich allein sein, was wollte ich noch tun im Leben, was kann ich mir endgültig abschminken? Wie kompensiere ich mein Streben nach beruflicher und sozialer Anerkennung? Was kann ich einfach wegschmeißen, löschen, entsorgen, neu ordnen? Erste Veränderungen auch im Äußeren: Umgestaltung von Haus und Garten. Und dann der Plan: Ich plane weiter gar nichts, lasse mich auf die Leere ein, mal sehen, was das mit mir macht.

4. Welchen Rat kannst Du anderen geben, denen dieser Schritt bevorsteht? 
Keinen.

5. Was ist Dir wichtig? Haben sich Prioritäten verändert? 
Wichtig ist mir die Balance zwischen Tun und Lassen, zwischen Austausch und Muße, zwischen Bewegung und Denken. Regelmäßig gehen, Musik hören, Kunst erleben, verständliche Wissenschaft lesen, meditieren, zuhören, diskutieren, kochen. In den ersten Monaten habe ich mich erneut und intensiv mit den Folgen meiner kindlichen Traumata beschäftigt, nun habe ich das einigermaßen verstanden.

Dann kamen andere Projekte: Was kann ich über meine Vorfahren erfahren und ggf. weitergeben? Inwiefern bin ich geprägt durch meine dörflich-norddeutsch-kleinbürgerliche Herkunft in der Nachkriegszeit? Welche Grundüberzeugungen habe ich – welche davon wider alle Einsicht? Welche Vorurteile pflege ich? Gibt es Gut und Böse? Wo bin ich schuldig geworden, wo kultiviere ich meine gewohnten Schuldgefühle? Bestimme ich im Notfall selbst über mein Lebensende? Wie? Was ist der Tod? Wie ist das künftig mit meiner Spiritualität? Braucht es dazu Religion? Wer wäre ich ohne intensive Therapie-Erfahrung? Habe ich jemals einen Menschen gekannt oder gar verstanden? Was heißt das: Liebe ist wichtiger als Glaube und Hoffnung? Vermisse ich Enkel? Was war ich und was bin ich meinen Söhnen, meiner Ehefrau, meinen Freunden und Geschwistern? Was sind sie mir?

Ist es ein Zeichen von beginnender Vergreisung, dass ich mich nicht mehr für Gegenwartsliteratur und mein Fach interessiere?

Was wissen Fachleute über das Denken, über Urteilsbildung, über Gefühle? Wie ist das jeweils bei mir? Was lehrt mich die Gehirnforschung? Wo kann ich mich philosophisch verorten?

Die ernüchternde Erkenntnis, dass ein erneutes Studium (Kunst/Kunstgeschichte) kein Weg für mich ist. Die klare Einsicht: Am Malen und Bildhauen hindert mich mein Qualitätsanspruch.

Nebenbei habe ich eine anspruchsvolle Ausbildung als Kirchenführer wahrgenommen. Seit zwei Jahren habe ich es geschafft, nichts Lesenswertes oder Öffentliches zu schreiben. Soll das so bleiben?

6. Wie sieht Deine Woche aus? 
Viel gemeinsame Zeit mit meiner Frau, regelmäßig Lesezeit in der Bibliothek, ein Gesprächskreis (manchmal zwei), ein Meditationskreis. Einmal essen gehen, abends meist Sachsendungen oder Spielfilme, die ich während der Woche  im TV aufzeichne, oder klassische Musik, ganz selten Telefon, morgens regelmäßig „Süddeutsche“ und „Zeit“ im Internet, Recherchen in Wikipedia, Garten, Kunstsammlungen, Städte, lesen, denken, dösen … An einem Nachmittag bin ich Ansprechpartner für Besucher einer wunderbaren gotischen Kirche.

7. Welche Pläne hast Du? 
Carpe diem. Das Beste aus dem Alter machen, offen sein für Überraschungen. Einige der obigen Fragen beantworten.

Ich danke sehr für die Antworten!

 

Kommentare sind geschlossen.